9.1 Qualzucht

Gemäss Art. 25 Abs. 1 TSchV ist das Züchten darauf auszurichten, gesunde Tiere zu erhalten, die frei sind von würdeverletzenden Merkmalen. Eine Qualzucht (auch "Defekt-" oder "Extremzucht") liegt dann vor, wenn die Elterntiere oder die Nachkommen durch die Anwendung natürlicher oder künstlicher Zucht- und Reproduktionsmethoden durch das Zuchtziel bedingte oder damit verbundene Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen aufweisen (Art. 10 Abs. 1 TSchG). Verboten ist das Züchten von Tieren, bei denen damit gerechnet werden muss, dass erblich bedingt Körperteile oder Organe für den arttypischen Gebrauch fehlen oder umgestaltet sind und dem Tier dadurch Schmerzen, Leiden oder Schäden entstehen, sowie das Züchten von Tieren mit Abweichungen vom arttypischen Verhalten, die das Zusammenleben mit Artgenossen erheblich erschweren oder verunmöglichen (Art. 25 Abs. 3 TSchV). Eine Einschränkung von Organ- und Sinnesfunktionen sowie Abweichungen vom arttypischen Verhalten sind als Zuchtziele nur dann zulässig, wenn sie ohne belastende Pflegemassnahmen und Eingriffe am Tier kompensiert werden können (Art. 25 Abs. 2 TSchV).

Werden einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt, so handelt es sich rechtlich gesehen um eine Tierquälerei, die nach Art. 26 Abs.1 lit. a TSchG strafbar ist. Unabhängig von der konkreten Belastung des Tieres stellen solche Eingriffe auch eine strafbare Beeinträchtigung der Tierwürde dar. Die Erfüllung dieser Straftatbestände kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert werden.

Bei vielen sogenannten Designertieren werden Missbildungen nicht nur in Kauf genommen, sondern gar gezielt gefördert und vererbt. Dies führt zu zuchtbedingten Krankheiten und verhindert aufgrund morphologischer, physiologischer oder ethologischer Veränderungen, dass die Tiere ein artgerechtes Leben führen können (vgl. auch Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2011 (PDF) der Stiftung für das Tier im Recht TIR). Auch bei Terrarientieren ist diese Problematik mittlerweile bekannt, weshalb nachstehend einige Beispiele möglicher Qualzuchten erläutert werden.

Seit 1.1.2015 ist die Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten in Kraft. Wer Tiere züchtet, muss gemäss Art. 2 lit. a die Belastungen für die Tiere kennen, welche durch die extreme Ausprägung von Merkmalen verursacht werden. Zudem muss er über die bekannten Erbschäden geplanter Zuchtformen informiert sein. Nach Art. 2 lit. b dürfen keine Zuchtziele verfolgt werden, die für die Tiere mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder tiefgreifenden Eingriffen ins Erscheinungsbild oder in ihre Fähigkeiten zur Folge haben.

9.1.1 Schuppenlos gezüchtete Reptilien

Schuppen bieten einen wichtigen Schutz vor Verletzung und UV-Strahlen (Sonnenbrand). Ihre Pigmentierung dient der Thermoregulation, der innerartlichen Kommunikation (z.B. Farbwechsel, "Bart stellen" bei Bartagamen) und der Verteidigung. Schlangen benötigen sie zudem bei der Fortbewegung, vor allem beim Klettern. Durch angezüchtete Schuppenlosigkeit können beim Häuten zudem Probleme entstehen. So müssen beispielsweise schuppenlose Bartagamen (Silkbacks) während der Häutung regelmässig eingecremt werden, wobei auch dann noch Häutungsrückstände zurückbleiben können, die Schwanz und Gliedmassen abschnüren. Das Eincremen ist für Echsen nicht nur mit Stress verbunden, vielmehr können die Tiere deshalb auch nicht auf natürlichem Bodengrund (Sand, Erde) gehalten werden, der an ihrer Haut haften bleiben würde. Eine artgerechte Einrichtung des Terrariums ist damit nicht möglich. Neben Echsen sind auch schuppenlose Schlangen, so etwa Königspythons (Scaleless Balls), erhältlich.

Durch die gezielte Zucht auf Schuppenlosigkeit werden die Tiere in ihren Fähigkeiten und ihrem arttypischen Verhalten stark eingeschränkt. Zudem wird das Zusammenleben mit Artgenossen erheblich erschwert, was nach Art. 25 Abs. 3 lit. b TSchV ausdrücklich verboten ist. Das Fehlen der Schuppen stellt überdies einen tiefgehenden Eingriff in das Erscheinungsbild der Tiere dar, was auch ohne Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen gemäss Art. 3 lit. a TSchG als Würdemissachtung und somit als Tierquälerei zu qualifizieren ist. Da rein ästhetische Gründe dieses Zuchtziel bedingen, kann eine Rechtfertigung durch überwiegende Interessen nicht geltend gemacht werden.

Schuppenlosigkeit bei Echsen und Schlangen zählt gemäss Anhang 2 Abs. 3.5 der Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten zu den Merkmalen, welche als mittlere oder starke Belastung gelten können. Deswegen muss der Züchter vor der Verpaarung dieser Tiere eine Belastungsbeurteilung vornehmen und schriftlich festhalten lassen (Art. 5 Abs. 1 und 5). Dieses Dokument muss den Vollzugsbehörden auf Verlangen vorgewiesen werden.   

Veränderungen am Körper, die irreversibel sind und das Äussere eines Tieres stark entstellen, werden gemäss Anhang 1 Zeile 5 der Verordnung in die Belastungskategorie 3 eingeteilt. Mit solchen Tieren darf nicht gezüchtet werden, wenn die Elterntiere und / oder die Jungtiere dieser Kategorie entsprechen (Art. 9 lit. a und b). Eine Belastungsbeurteilung sollte somit die Einteilung schuppenloser Reptilien in Kategorie 3 bestätigen und die Zucht dieser Tiere unterbinden. Zudem gilt: können die Tiere aufgrund von Zuchtmerkmalen (Körperbau oder Fähigkeiten) nicht tiergerecht gehalten werden (was bei Schuppenlosigkeit der Fall ist), darf gemäss Art. 9 lit. c Abs. 1 nicht mit ihnen gezüchtet werden.  

9.1.2 Spezielle Farbausprägungen

Gerade bei Reptilien ist die Nachfrage nach Tieren, die eine besondere Farbausprägung aufweisen, gross. Weiss, violett, rötlich, spezielle Musterung und blaue Augen – alles scheint möglich. Den farblichen Veränderungen liegen oftmals jedoch genetische Defekte zu Grunde, die für die Tiere schädliche Auswirkungen haben können.

Eine extreme Zuchtfarbform bei Reptilien und Amphibien ist der Albinismus. Dieser liegt vor, wenn einem Tier der Farbstoff Melanin (schwarz) fehlt. Albinotische Reptilien und Amphibien sind nicht zwingend rein weiss, sie können auch gelb, violett oder rötlich wirken, oft mit Musterung, und weisen häufig rote Augen auf. Aus der hellen Hautfarbe resultiert eine Überempfindlichkeit auf UV-Strahlen, die zu Tumoren führen kann.

Dies ist bei tagaktiven, sonnenliebenden Echsen und Panzerechsen besonders problematisch, da die kaltblütigen Tiere gern an warmen Orten mit intensiver UV-Strahlung liegen und sich dabei lebensgefährliche Verbrennungen zuziehen können. Die höhere UV-Durchlässigkeit von nicht pigmentierten Schuppen wird auch im Bericht über die UV-Durchlässigkeit der Reptilien-Hornhaut von Günther Nietzke aus dem Jahr 1990 in der Fachzeitschrift Salamandra beschrieben.

Auch ein Pigmentmangel in der Iris (z.B. bei roten Augen) führt zu einer erhöhten Lichtempfindlichkeit, da die farblose Iris die Retina nicht ausreichend vor starkem Lichteinfall schützt. Farbmangelmutanten fehlen zudem die Pigmente zur innerartlichen Kommunikation, überdies ist es ihnen nicht möglich, sich artspezifisch zu tarnen, was zu erhöhtem Stress führen kann.

Nach dem Gutachten (PDF) der deutschen Sachverständigengruppe Tierschutz und Heimtierzucht zur Auslegung des Qualzuchtartikels von § 11b des Deutschen Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen) bestehen ausserdem Hinweise darauf, dass extremer Pigmentmangel zu Störungen im Zentralnervensystem und in den Sinnesorganen führen kann. Inwieweit dies auch auf Reptilien zutrifft ist bislang noch nicht ausreichend erforscht. Es bestehen jedoch Anzeichen darauf, dass auch bei Reptilien entsprechende Probleme auftreten können.
Bei Leopardgeckos (Farbform Enigma) beispielsweise treten gelegentlich neurologische Ausfallerscheinungen auf, die als sogenanntes Enigma-Syndrom bezeichnet werden. Beobachtet wird dieses Syndrom ungefähr seit 2006. Es äussert sich in unterschiedlicher Ausprägung und kann von unkontrolliertem Starren über einen abgekippten Kopf oder vereinzelte Kreisbewegungen bis hin zu eigentlichen Anfällen durch unaufhörliches Kreisen und sogenannte Todesrollen (auf den Rücken drehen, ähnlich der Tötungsbewegung bei Krokodilen) führen. Nach Beobachtungen von Züchtern wird das Syndrom regelmässig von Stressoren ausgelöst, so etwa bei gemeinsamer Unterbringung mit einem aggressiven Artgenossen. Es wird vermutet, dass es sich um einen dominant vererbbaren Defekt handelt, der möglicherweise mit der Farbform Enigma gekoppelt ist. Mutmasslich sind die betroffenen Tiere heterozygote Träger des Defekts; die homozygote Ausprägung stellt demgegenüber einen Letalfaktor dar, der zum Tod des Tieres führt. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu dieser Thematik fehlen jedoch bislang, weshalb weder der Erbgang noch die Ursache des Defekts abschliessend geklärt sind.
Seit 1.1.2015 ist die Zucht von Reptilien mit Enigma-Syndrom in der Schweiz verboten (Art. 10 lit. e  Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten)

Ein weiteres Beispiel neurologischer Anomalien ist der "Spider-Tick" oder das "Wobbling-Syndrome" bei Königspythons mit sogenannter Spider-Färbung (die schwarzen Anteile sind derart gering und verdünnt, dass die Farbe an ein Spinnennetz erinnert). Die Schlangen verlieren die motorische Kontrolle über ihren Kopf und ihren Nacken, teilweise treten am ganzen Körper Muskelzuckungen auf. Das Syndrom kann auch erst nach einigen Monaten auftreten und sehr unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Verstärkt werden die Symptome in der Regel durch Stress. Ob die Erkrankung direkt mit der Farbmutation Spider verknüpft ist oder ob es sich dabei um einen vom Spider-Gen unabhängigen genetischen Defekt handelt, der sich durch die starke Inzucht mit einigen wenigen Spider-Zuchttieren in der Population ausbreiten konnte, ist nicht abschliessend geklärt.

Koordinations- und Bewegungsstörungen gelten gemäss Anhang 2 Abs. 5.1 der Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten als mittlere oder starke Belastung. Auch hier ist vor der Zucht eine Belastungsbeurteilung gemäss Art. 5 Abs. 1 erforderlich. Wird die Belastungskategorie 2 (mittlere Belastung) bescheinigt, darf mit diesen Tieren nur dann gezüchtet werden, wenn das Zuchtziel beinhaltet, dass die Belastung der Nachkommen unter der Belastung der Elterntiere liegt (Art. 6 Abs. 2). Gemäss Anhang 1 Zeile 2 zählen Schäden, die zu Funktionsausfällen oder Verhaltensabweichungen führen, welche den Allgemeinzustand beeinträchtigen, zur Belastungskategorie 2. Führen diese Schäden zu einer starken Beeinträchtigung, zählen sie zur Belastungskategorie 3. Mit solchen Tieren darf nicht gezüchtet werden, wenn die Elterntiere und / oder die Jungtiere dieser Kategorie entsprechen (Art. 9 lit. a und b). 

Kommentar zu den Gesetzen

Wir begrüssen das Zuchtverbot von Reptilien mit Enigma-Syndrom und, dass die Schuppenlosigkeit bei Echsen und Schlangen sowie Koordinations- und Bewegungsstörungen als mittlere bis starke Belastung eingestuft werden können.
Unsere Stellungnahme (pdf) wurde von den Präsidenten der DGHT Landesgruppe Schweiz und der SARA Sachkunde Reptilien Amphibien Schweiz unterstützt.  

 

Published on 09.07.2014, 9:32:59.
Last updated on 14.01.2015, 6:21:08.
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